»HeyDu« – ist ein intelligentes System zur Bedürfniserfassung ambulanter Krebspatienten und eine Schnittstelle zu Experten. Eine selbständige Belastungserhebung durch die Patienten und das Bereitstellen dieser Daten an die behandelnden Ärzte ermöglicht eine individuellere Therapie und die Bereitstellung benötigter Unterstützung.


Krebs ist nicht nur eine körperliche, sondern auch eine sehr starke seelische und soziale Belastung für die Betroffenen. Für Außenstehende sind diese Belastungen jedoch kaum zu verstehen. Nur der Patient selbst weiß wie es ihm geht, was ihn beschäftigt – er fühlt oder denkt. Genau das macht es schwer zu beurteilen, welche Unterstützung der Einzelne benötigt. Um die Patienten aber bestmöglich zu behandeln, müssen die Experten über alle Belastungen des Patienten Bescheid wissen.

Die Belastungserfassung der ambulanten Patienten erfolgt ausschließlich beim fünfzehnminütigen Arztgespräch, in der Tagesklinik. In dieser Zeit werden meist körperliche Einschränkungen und der weitere Therapieverlauf besprochen. Ängste, Probleme im sozialen Umfeld usw. werden häufig aufgrund der kurzen Zeit kaum thematisiert und die Patienten müssen diese Belastungen selbst bewältigen. Unterstützung bieten ambulante Krebsberatungsstellen oder Psychoonkologen. Der Zugang ist jedoch langwierig und kompliziert. Zudem muss der Patient die Hürde überwinden, selbst um Hilfe zu bitten.

»HeyDu«, zeigt Möglichkeiten auf, wie eine zukünftige Bedürfniserfassung aussehen könnte. Das Projekt dient als Diskussionsimpuls für Patientenpartizipation im Gesundheitswesen und den Einsatz nutzerfreundlicher, digitaler Anwendungen in der Bedürfniserfassung. In Zukunft sollen auch seelische und soziale Belastungen bei der Krankheitsbewältigung bestmöglich behandelt werden, indem Patienten gemeinsam mit Gesundheitsstakeholdern ihre Therapie individueller anpassen können.


Die Einarbeitung in ein fachfremdes Thema setzt eine ausführliche Grundrecherche vorraus. Diese soll einen Überblick über die Krankheit selbst, ihren Verlauf, involvierte Stakeholder, Belastungen in den verschiedenen Krankheitsphasen und die bestehenden Bedürfniserfassungen geben. Seminare, Interviews und Workshops mit Patienten, Experten, und Angehörigen helfen hier die Anforderungen aus Sicht der Nutzer und wichtiger Stakeholder an die Anwendung zu definieren. So ergeben sich vier Top-Findings: Datenerhebung und -aufbereitung, Kommunikation und Information. Diese Anforderungen gelten als Grundlage der Konzeptentwicklung von »HeyDu«.


Das Konzept von »HeyDu« richtet sich an kurative Patienten, in ambulanter Behandlung. Der Fokus liegt hier bei Patienten (01), welche die Zusatzbelastung der Krankheit nicht aus eigener Kraft bewältigen können – Da Belastung jedoch keine einmalige messbare Konstante ist, bilden Patienten (02) die aktuell »gut« mit der Zusatzbelastung zurechtkommen eine weitere Zielgruppe. Bei dieser Nutzergruppe liegt der Fokus auf der Prävention. Es soll frühzeitig erkannt werden, wenn Unterstützungs- und Handlungsbedarf entsteht. Zudem stellen Gesundheitsstakeholder wie Psychologen, Ärzte und Sozialberater eine sekundäre Zielgruppe dar (03).

Das System setzt sich aus drei Komponenten zusammen: Einer Applikation für Nutzer wie Tamara, einem Tagesklinikdevice zur Früherkennung, für Patienten wie Timon und einer Desktopanwendung für die Experten, wie Dr. Möller. Für die Umsetzung innerhalb der Bachelorthesis, wird das Konzept des Tagesklinikdevices und die Applikation für zu Hause ausgearbeitet. Ziel ist es die Belastung einfach und kontinuierlich zu erfassen, um den Patienten in Form von individuellen, niederschwelligen Informationen und einem direkten Zugang zu Experten zu unterstützen. Durch Bereitstellung der Daten an die Experten, kann die Therapie individueller an die Bedürfnisse des Einzelnen angepasst werden.


Tagesklinikdevice
1 | Individueller Mäeutischer Dialog – Bedürfniserfassung
Das Grundkonzept der Bedürfniserfassung von »Heydu« baut auf dem sogenannten mäeutischen Dialog (Hebammenkunst) auf – Durch gezieltes Nachfragen wird versucht Beweggründe und Ursachen einer Antwort herauszufinden. Für die exemplarischen, mäeutischen Dialoge werden abgewandelte Aussagen der befragten Probanden verwendet. Das Tagesklinikdevice dient zunächst als Erstanwendungsfall des Systems. Anhand eines Chatbots werden dem Nutzer Fragen zu 5 definierten Belastungskategorien körperlich, seelisch, sozial, Informationsdefizite und Praktisch gestellt. Der Nutzer hat nun die Möglichkeit via Texteingabe individuell auf eine Frage zu antworten oder vom System generierte Shortcuts in Form häufig gegebener Antworten von anderen Patienten zu verwenden.

Weitere Eingabemöglichkeiten stellen kontextbezogene Interaktionsfelder dar. So kann der Patient beispielsweise bei der Lokalisierung eines Schmerzes durch klicken auf eine Körperillustration den Bereich auswählen und muss ihn nicht wörtlich beschreiben. So auch bei der Belastungserfragung.


2 | Nutzerfreundliche Belastungsangabe – Bedürfniserfassung
Gibt der Patient auf eine Frage Antworten, die auf eine erhöhte Belastung hinweisen, wird gezielt gefragt wie stark dieses Thema als Belastung empfunden wird. Die Belastungseingabe erfolgt über den haptischen, gelben Drehregler an der Front des Devices. Dreht der Nutzer den Regler, erhöht sich dabei der Widerstand, je weiter er diesen betätigt – Der Nutzer muss immer mehr Kraft aufbringen, je größer die Belastung. Dies soll die Erhebung nachvollziehbarer machen, als eine herkömmliche nummerische Skala (0 keine, bis 10 hohe Belastung). Die Drehung wird dabei über ein Potentiometer ausgelesen und ermöglicht ein visuelles Livefeedback auf dem Screen: Ein Kreis verändert seine Größe und Sättigung je nach angegebener Belastungsstärke und beschreibende Wörter werden angezeigt.

Während der gesamten Erhebung hat der Patient immer die Möglichkeit diese zu beenden, eine Frage zu überspringen und die Reihenfolge der Fragen selbst zu wählen. Dadurch wir eine nutzerfreundlichere Erhebungsform geschaffen, die zu einem qualitativ besseren und individuelleren Ergebnis führt.


3 | Erhebungsbrief
Zum Abschluss der Erhebung kann der Nutzer seinen Erhebungsbrief direkt nach der Befragung drucken und erhält diesen zudem per Mail. Der Drucker ist hierbei kein realer Use Case. Er soll bei einer Präsentation oder Ausstellung deutlich machen, wie wichtig es ist, dass der Patient selbst entscheiden können muss, ob seine Daten an den Arzt übergeben werden sollen und er das Ergebnis einsehen möchte. Er soll der Erste sein, der dieses einsehen kann. Das Ergebnis des Tagesklinikdevice dient allgemein dazu, zu erkennen welche Patienten aktuell akut belastet sind. Nicht akut belastete Patienten führen die Erhebung am Tagesklinikdevice immer dann durch, wenn sie für eine Behandlung vor Ort sind (in der Regel alle 2-3 Wochen). Denn Bedürfnisse und Belastungen von Patienten ändern sich und können nicht über eine einmalige Erfassung generalisiert werden. So ist gewährleistet dass eine Veränderung frühzeitig erkannt wird.


Applikation
Für die Patienten mit erfasster akuter Belastung kann nur eine kontinuierlichere und detailliertere Erhebung Aufschluss über Belastungsursachen und Bedürfnisse geben. Mit der Applikation kann der Patient seine Belastungserfassung zu Hause und unterwegs fortführen. Diese ist in vier Hauptbereiche unterteilt: Aufnehmen, Bibliothek, Tagebuch und Protokoll. Hauptbestandteil der App ist die Funktion Aufnehmen – Hier hat der Nutzer die Möglichkeit anhand einer Kurzerhebung (Stimmungsbericht) und einer ausführlichen Erhebung (Tagesbericht) Geschehen und Empfinden festzuhalten.


1 | Tagesbericht – Kontinuierliche Bedürfniserfassung
Der Tagesbericht ähnelt dem eines Tagebucheintrags. Der Nutzer wird aufgefordert von seinem Tag zu erzählen und dies, wie bei einer Sprachnachricht aufzuzeichnen. Das Gesagte wird anschließend analysiert und innerhalb der fünf Kategorien thematisch gegliedert. Zu jedem Thema wird der Nutzer im Anschluss aufgefordert die subjektiv empfundene Belastung anzugeben. Diese erfolgt via Touchscreen, behält jedoch das selbe visuelle Feedback wie in der Tagesklinik. Zudem bleibt der Chatbot, mit Shortcuts und individueller Eingabe bestehen. Dieser befragt im Anschluss der Belastungserhebung den Patienten mittels mäeutischem Dialog zu seinem meist belastenden Thema, um den Kontext besser zu verstehen.

2 | Individuelles Informationsangebot und direkter Expertenzugang – Unterstützung
Die erhobenen Tagesberichte kann der Nutzer jeder Zeit in seinem Tagebuch, unter Protokoll einsehen. Hier werden auch alle wöchentlichen Auswertungen als Wochenbriefe gespeichert. Diese geben Aufschluss über die in der jeweiligen Woche größten Kernbelastungen, sowie weitere erkannte Risikofaktoren. Handlungsempfehlungen, wie konkrete Expertenkontakte, Erfahrungsberichte anderer Patienten und Notizen des Arztes, helfen dem Patienten. Sie zeigen konkrete Möglichkeiten auf, was dieser selbst tun kann, um die angegebenen Belastungen zu verringern. Gemeinsam beim Arztgespräch, können Patient und Arzt dann aufgrund der erhobenen Daten die Therapie individueller an die Bedürfnisse des Patienten anpassen und versuchen die Belastungen zu verringern.

Projektpartner: Benjamin Wengert
Betreuung: Prof. Michael Schuster, Prof. Benedikt Groß
Bachelorarbeit | Sommersemester 2018
HfG Schwäbisch Gmünd